D E U T S C H E R  D I A B E T I K E R  B U N D


Wer bezahlt, bestimmt!
Braucht der Patient eine neue Rolle im Gesundheitswesen?

 

Wer bezahlt, bestimmt!

Wer bezahlt, bestimmt!
Braucht der Patient eine neue Rolle im Gesundheitswesen?

Rede anläßlich des Deutschen Apothekertages 1998 in München

Von Volker Krempel, stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Diabetiker Bundes, Nürnberg

Beispiel Diabetes - Was erwartet der Patient von seiner Apotheke, seiner Krankenkasse und den Arzneimittelherstellern? 13 Thesen:



 


 


These 1: Der Diabetiker ist ein unmündiger Beitragszahler

Als chronisch Kranker zahlt der Diabetiker lebenslang Beiträge in seine Krankenkasse.

Er hat aber keinen Einfluß auf die Verwendung dieser Beiträge; diese Entscheidungen werden ihm von Politikern, Krankenkassen und Ärzten sozusagen „abgenommen".

 

 


These 2: Der Diabetiker ist ein unmündiger Patient

Rund 80% aller Diabetiker gelten als schlecht versorgt.

Aufgrund mangelnder oder mangelhafter Schulung kann der Diabetiker die Tragweite seiner schlechten Versorgung nicht erkennen.

Da er die Zusammenhänge seiner Krankheit nicht erkennen kann, fällt es ihm natürlich schwer, die verordnete Therapie zu verstehen und einzuhalten.

Als unwissend belassener Patient kann sich der Diabetiker nicht in erforderlichem Maße artikulieren oder gegen schlechte Versorgungsqualität zur Wehr setzen.

Der Diabetiker wird dadurch zwangsläufig unmündig gehalten.

 

 


These 3: Der Diabetiker ist nicht adäquat versorgt

Wissenschaftler haben viele wirkungsvolle Therapieformen entwickelt und evaluiert, die aber in der Praxis nicht umgesetzt werden.

Selbst der „Hausärzteverband" (BDA) beklagt inzwischen Defizite in der Vergangenheit.

Die St.-Vincent-Deklaration vom Oktober 1989, die in einem Fünfjahresplan z. B.

  • die Verminderung neuer diabetesbedingter Erblindungen um ein Drittel oder mehr,
  • die Reduzierung der Anzahl neuer diabetesbedingter Fälle von terminalem Nierenversagen um mindestens ein Drittel und
  • die Senkung der Zahl der Amputationen aufgrund dia-betischer Gangrän um die Hälfte gefordert hatte, wurde in den vergangenen neun Jahren noch in keinem Punkt umgesetzt.

Im Gegenteil, jedes Jahr
erblinden 7.000 Diabetiker,
kommen 9.000 Diabetiker neu an die Dialyse und
werden 28.000 (zum Teil unnötige) Amputationen durchgeführt, Tendenz steigend.

 

 


These 4: Es sind grundlegende Defizite zu beklagen

Defizite in der Prävention: Einfache und billige Maßnahmen zur Früherkennung, wie sie etwa die Apotheken anbieten, werden nicht angewandt. Untersuchungen haben festgestellt, daß die Diagnose „Diabetes" sehr häufig fünf bis sieben Jahre zu spät gestellt wird, meist dann, wenn bereits Folgeerkrankungen offenkundig sind.

Defizite in der Schulung: Schulung ist nach § 2 SGB V „allgemeiner Stand der Erkenntnisse", auf die wir zwar einen Anspruch haben, die aber nur sehr selten durchgeführt wird.

Defizite in der Therapie: Noch immer gibt es viel zu viele Hausärzte, die sich mit Diabetes nicht auskennen, aber Furcht vor einer Überweisung haben. Diabetiker dürfen nicht länger die Versuchskaninchen von Ärzten sein, die die Schwere dieser Erkrankung ignorieren!

Defizite in der Behandlung von Folgeerkrankungen, Weil operative Medizin besser bezahlt wird als erhaltende, müssen viele Diabetiker unnötige und übereilte Amputationen über sich ergehen lassen und werden damit eines großen Teiles ihrer Lebensqualität beraubt. Hier sind speziell ausgebildete Fußpfleger und gute Fußambulanzen dringend erforderlich!

 

 


These 5: Krankenkassen zahlen Honorare für schlechte Versorgung

Die Kassen zahlen für die Behandlung von Begleit-erkrankungen jährlich zwischen 12 und 20 Mrd. DM, obwohl seit Jahren bekannt ist, daß durch eine struktu

rierte Schulung und konsequente Therapie Folgeerkrankungen vermieden oder wenigstens verzögert werden - und dadurch enorme Kosten gespart werden könnten.

Es ist zwar erfreulich, daß es jetzt in den meisten Bundesländern Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen zur besseren Versorgung der Diabetiker gibt.

Diese Vereinbarungen müssen aber nunmehr auf eine einheitliche Basis gestellt werden, um die Abwicklung im medizinischen Bereich zu vereinfachen und um zu verhindern, daß es Diabetespatienten erster und zweiter Klasse gibt.

Die Krankenkassen sollten endlich ermuntert und ermächtigt werden, in Zukunft nur noch qualifizierte Leistungen zu honorieren.

Sie müssen sicherstellen, daß jeder bei ihnen versicherte Diabetiker eine qualifizierte (d. h. strukturierte) Schulung erhält, die Schulung ist „allgemeiner Stand der Erkenntnisse" gemäß § 2 SGB V und damit Bestandteil der Therapie!

Die landauf, landab verbreitete und geschürte Unsicherheit bezüglich der Kostenübernahme bei der Verordnung von Teststreifen muß endlich beseitigt werden.

Den bereits abgeschlossenen und den künftigen Diabetes-Vereinbarungen muß jetzt definitiv der von der WHO, der Deutschen Diabetes-Gesellschaft und dem Deutschen Diabetiker Bund mitgetragene Gesundheitspaß Diabetes zugrunde gelegt werden - und kein anderer!

 

 


These 6: Diabetiker müssen endlich nach dem "allgemeinen Stand der Erkenntnisse" versorgt werden

Die Ziele der St.-Vincent-Deklaration müssen endlich umgesetzt werden (s. These 3).

Die Behandlung muß nach den Richtlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) erfolgen.

Die erforderlichen Mindestuntersuchungen nach den Vorgaben des „Gesundheits-Paß Diabetes" der WHO müssen konsequent durchgeführt und protokolliert werden.

Die Vernetzung von Hausärzten, diabetologischen Schwerpunktpraxen und qualifizierten Kliniken muß bundesweit institutionalisiert werden.

 

 


These 7: Wir begrüßen die Erweiterung des Angebotes der Apotheken

Apotheker sind sehr oft der erste Ansprechpartner des Diabetikers nach der Diagnose „Diabetes".

Wir begrüßen es daher, daß sich die Apotheker verstärkt dem Thema „Diabetes" widmen.

Wir begrüßen es ferner, daß die Apotheker versuchen, ihr Angebot um diabetesspezifische Produkte (z. B. Literatur und Diätartikel) und um Dienstleistungen (wie etwa Produkt- und Ernährungsberatung) zu erweitern.

 

 


These 8: Die Apotheken müssen endlich in die Versorgungsstruktur eingebunden werden

Damit beim Kunden keine unnötigen Irritationen auftreten, müssen die Aussagen des Apothekers mit denen der behandelnden Ärzte in Einklang gebracht werden, sie müssen „kompatibel" sein.

Ich halte daher einen bundesweiten Konsens zwischen der Bundesapothekerkammer und der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, dem Zusammenschluß der „Diabetologen", nicht nur für zweckmäßig, sondern für das Gebot der Stunde.

Ich kann Sie nur darin bestärken, den Kontakt mit dieser Organisation zu intensivieren -, um qualitätsgesicherte Regularien für Ihre Kundeninformation zu erarbeiten, und letztendlich mit dem Ziel, eine spezielle DDG-Qualifizierung für Apotheker zu schaffen.

Der Deutsche Diabetiker Bund hielte es aber für selbstverständlich, am Zustandekommen eines Konsens beteiligt zu werden. Im Sinne des in der St.-Vincent-Deklaration geforderten „patient empowerments" sollte in Zukunft nicht nur über uns, sondern vor allem mit uns Betroffenen gesprochen werden.

 

 


These 9: „Kundenbindung" ist für Apotheken ein wichtiger betriebswirtschaftlicher Ansatz

Wir registrieren allerdings, daß viele Mitglieder in unseren Selbsthilfegruppen ihre Hilfsmittel (insbesondere Teststreifen) verstärkt über den Versandhandel beziehen. Sie sind der Überzeugung, damit einen sinnvollen Beitrag zur Kostenreduzierung im Gesundheitswesen zu leisten.

Hier sehe ich einen guten Ansatzpunkt für die Apotheker, durch entsprechende Preisgestaltung den freien Handlungsspielraum im Sinne eines breiteren Komplettangebotes und hin zu mehr Kundenbindung noch besser auszunützen.

In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß unser Landesvorstand bereits vor zwei Jahren in einem Arbeitskreis von Apothekern zum Thema Kundentreue/Kundenbindung mitgewirkt hat und an der Entscheidungsfindung für ein Konzept beteiligt war.

Aber, und diese Einschränkung muß ich ganz klar formulieren:

 

 


These 10: Wir lehnen diabetologische Schulungen in den Apotheken ab

Mit Befremden registrieren wir Bestrebungen innerhalb der Apothekerschaft, Diabetikern auch Diabetes-Schulungen anzubieten.

Diabetologische Schulungen müssen im Einklang mit der Therapie des behandelnden Arztes stehen, der auch die Verantwortung dafür trägt.

Schulungen haben nach den Vorgaben der Deutschen Diabetes-Gesellschaft zu erfolgen. Sie sind Teil der qualitätsgesicherten Behandlung gemäß §§ 135-137 SGB V. - Dies wäre aber in einer Apotheke nur ge-währleistet, wenn es zuvor zu dem oben erwähnten Konsens mit der DDG gekommen ist.

Wäre dies nicht der Fall, wären Verunsicherungen bei den Patienten (sprich: Kunden) und Kompetenzstreitigkeiten mit der Ärzteschaft vorprogrammiert.

Ich darf hier anmerken, daß dies nicht meine persönliche Meinung, sondern die einhellige Auffassung des Erweiterten Bundesvorstandes des Deutschen Diabetiker Bundes ist, dem auch die Landesvorsitzenden angehören.

Was wir dennoch für sehr wichtig halten:

 

 


These 11: Apotheker sollten mit dem Deutschen Diabetiker Bund zusammenarbeiten

Die Apotheker sollten mit den bundesweit bestehenden Selbsthilfegruppen des Deutschen Diabetiker Bundes zusammenarbeiten und nicht versuchen, parallel dazu neue (apothekengebundene) Gruppen ins Leben zu rufen und mit uns quasi in Konkurrenz zu treten.

Auch wir bieten in unseren Selbsthilfegruppen seit vielen Jahren Vorträge von Ärzten oder Diabetesberaterinnen zu aktuellen diabetesbezogenen Themen oder von Ernährungsfachleuten zu Diätfragen an. Informationen dieser Art sind beileibe nicht Erfindung pfiffiger Apotheker.

Die Programme sollten daher sinnvoll aufeinander abgestimmt werden.

 

 


These 12: Der Deutsche Diabetiker Bund ist die mündige Interessenvertretung seiner Mitglieder

Der Deutsche Diabetiker Bund führt keine medizinische Beratung durch, sondern arbeitet vor allem im psychosozialen Bereich.

Wir geben aber Hinweise auf die medizinischen Strukturen, also auf diabetologische Schwerpunktpraxen (in Bayern sagt man „diabetologisch qualifizierte Vertragsärzte") oder auf Kliniken, die sich als „Behandlungseinrichtungen nach den Richtlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft" qualifiziert haben.

Der Deutsche Diabetiker Bund hat in der Deutschen Diabetes-Gesellschaft einen starken und zuverlässigen Kompetenz- und Gesprächspartner.

Der Deutsche Diabetiker Bund ist massiv auch auf der gesundheitspolitischen Ebene aktiv, um so die Voraussetzungen für eine bessere Diabetikerversorgung in Deutschland zu schaffen.

Der Deutsche Diabetiker Bund ist die einzige Selbsthilfeorganisation für Diabetiker, die - über ihre Dachorganisation „Deutsche Diabetes-Union" - auch im Bundesgesundheitsministerium Anerkennung und Gehör findet und dadurch etwas bewegen kann.

 

 


These 13: Der Deutsche Diabetiker Bund übernimmt im Auftrag seiner Mitglieder eine neue, aktive Rolle im Gesundheitswesen

Es ist offenkundig, daß der Patient eine neue Rolle im Gesundheitswesen übernehmen muß, wenn er seine Interessen gewahrt wissen möchte.

Da sich aber der einzelne Patient politisch kaum artikulieren kann, übernimmt der Deutsche Diabetiker Bund die Wahrung dieser Interessen auf der gesundheitspolitischen Ebene für seine Mitglieder, sprich: für Patienten mit Diabetes.

Wir setzen unsere neue Rolle im Gesundheitswesen selbstbewußt um und sind zuversichtlich, in nächster Zeit dazu beitragen zu können, daß sich in der „Diabetes-Szene" vieles bewegt und zu unserer und zur Zufriedenheit unserer Mitglieder verbessert.

Wir sind davon überzeugt, daß durch unsere Arbeit unsere Mitglieder langfristig in die Lage versetzt werden, ihre Verantwortung für ihre lebenslange Erkrankung in die eigenen Hände zu nehmen und die ihnen zustehende Rolle im Gesundheitswesen mündig selbst zu übernehmen, so wie dies 1989 in der St.-Vincent-Deklaration als „patient empowerment" bezeichnet und gefordert wurde.

 


© copyright des Inhalts: Volker Krempel, DDB, subkutan 4/1999




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